Zimmer frei?

Vergangenen Sommer vereinbarte ich mit dem Unfallchirurgen meines Vertrauens, dass morgen meine Ersatzteile entfernt werden. Zwei Unfälle im Jahr 2022 hinterließen einen gebrochenen Arm und Wirbel. 

Nun sitze ich also vor Tür 8 und 9 und warte darauf, aufgerufen zu werden. Im Arm trage ich zwei dicke Mäntel, in der Nacht gab es gefrierenden Regen, neben mir ein Koffer und ein Rucksack. Mein Aufnahmemäppchen fest in der Hand, bin ich bereit bei jedem Piepsen des Patienten Bildschirms aufzuspringen. Bei Piep hebt sich mein Blick reflexartig – Pawlow hat es beschrieben. Piep- Herr Gruber – Koje 8. Mein Blick wandert rhythmisch zwischen meinem Handy und den Menschen, die ein- und ausgehen. Die erste Stunde vergeht langsam. ‚Ping‘ – Frau Meier wird aufgerufen. Ich werfe einen Blick auf das Display, dann ‚Ping‘ – Herr Ivic ist an der Reihe. 

Dr Kusatz

Nachdem gut anderthalb Stunden vergangen sind, in denen ich ungewöhnlich geduldig warte, ertönt schließlich das erlösende ‚Ping!‘. Ich bin dran, Tür 4. Mit einem ‚Guten Morgen‘ betrete ich den Raum. Die Stimmung ist angespannt.

Kaum habe ich Platz genommen, informiert mich ein Arzt über die herausfordernde Nacht: 85 Notaufnahmen nach Unfällen. Er greift zum Telefon, während die Krankenschwester mir die Blutdruckmanschette anlegt und mich bittet, „NICHT zu SPRECHEN“.

Ich kenne diese Gespräche. Als er das Telefonat beendet ahne ich schon was gleich kommt: ‚Ich sag’s ihnen ganz ehrlich – es schaut nicht gut aus. Wir hatten so viele Aufnahmen, es kann sein, dass sie morgen nicht dran kommen.

“130/90“, funkt die Schwester dazwischen, sichtlich genervt über meine Unfähigkeit, still zu bleiben. Für meine Verhältnisse ist das hoch – Ich bin also doch angespannter als ich mir eingestehe. 

„Ich verstehe, aber Freude macht mir das natürlich keine“. Immerhin steh ich noch am OP Plan, tröste ich mich und der Kollege ist sichtlich erleichtert, dass ich ihn nicht mit weiteren, zu diesem Zeitpunkt nicht beantwortbaren, Fragen quäle.

Der Aufenthaltsraum im 6. Stock ist meine nächste Station. Dort habe ich Platz, einen Tisch und Wasser. Ich richte mich auf eine längere Wartezeit und die Möglichkeit wieder nach Hause geschickt zu werden ein. Die folgende Stunde ist schnell vergangen.

Wir haben ein Bett für sie – Brauchen Sie Hilfe mit Ihren Sachen? Fragt mich die Schwester und begleitet mich auf’s Zimmer. Ich freu mich als ich ihr folge und bin dankbar, dass ich wahrscheinlich drankomme. 

Heute Morgen bin ich mit gemischten Gefühlen von zu Hause aufgebrochen, denn am allerliebsten schlaf ich in meinem eigenen Bett. Wir alle haben unsere Bedürfnisse und Fantasien davon, was passieren soll. Oft kommt es anders. Dann ist es leicht sich selbst als Opfer und alle anderen als unfähig, unfair oder abweisend zu sehen. Das Team in der Aufnahme hat an diesem Tag schon viel Frust geerntet und währenddessen Abläufe eingehalten und nach bester individueller Tagesverfassung auf die Stressoren reagiert.  Veränderungen zu akzeptieren ist ein Muskel, der sich trainieren lässt. Die eigene Lücke zwischen Reiz und Reaktion größer werden zu lassen ist ein Rädchen an dem ich täglich schraube. 

Manchmal gelingt es mir ganz gut und manchmal belohnt mich das Leben dafür. 

Wer loslässt hat beide Hände frei.

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